Donnerstag, 24. Juli 2008

Doppelleben – oder die ganz normale Zweifachexistenz heutiger Organisationen

DOPPELLEBEN (erschienen in Report)

von Ron Stockinger

Wollte man vor zehn Jahren einen Überblick über das Verkaufsangebot von Neckermann bekommen, war es das Einfachste, eine der Filialen aufzusuchen. Heute besuchen wir Firmen und Organisationen zuerst in unseren Computerdisplays. Während gestern Unternehmen ausschließlich physisch im ganz realen Leben existierten, haben wir es heute mit Doppelexistenzen zu tun: Reale Organisationen treffen auf ihr digitales Abbild.

Wenn man über Virtualisierung spricht, dreht sich das Gespräch entweder um das technische Thema Servervirtualisierung oder um 3D-Computerlandschaften wie »Second Life«. Einige wenige und insbesondere Laien sehen jedoch das Internet als virtuelle Realität, davon ausgehend, dass die echte Wirklichkeit eine ganz andre ist, als dieses »Virtuelle« innerhalb unserer Bildschirme. An diesem Punkt stellt sich die Frage, warum wir unsere digitale respektive virtuelle Realität der physischen Wirklichkeit nicht gebührlicher angleichen. Und nein – hier angesprochen sind keineswegs verspielte Umsetzungen. Hier geht es einer pragmatischen Kosten-Nutzen-Rechnung gemäß viel mehr um das Schaffen greifbarer Mehrwerte durch die intelligente Erhöhung der Unternehmenstransparenz. Die Prämisse ist denkbar einfach: Wer nicht mühelos begreifbar und erfassbar ist, ist auch nicht gut verstehbar und ansprechbar – von mangelndem Selbstverständnis ganz zu schweigen.

Transparenzdefizit. »Herauszufinden, was andere Teile im eigenen Unternehmen tun, ist eine große Herausforderung. « Diese Aussage trafen in einer Studie von Accenture 45 Prozent des mittleren Managements großer US-Organisationen im Hinblick auf den Erhalt von Informationen, die zur Erledigung ihrer Arbeit unmittelbar notwendig sind. In fast 50 Prozent der Fälle weiß demnach die linke Hand einer Organisation nicht, was die rechte tut und – schlimmer noch – zu tun in der Lage ist. Diese Studie aus dem Vorjahr ist ein nachdrücklicher Hinweis auf ein weitläufig gegebenes Transparenzdefizit in den Organisationen. Was macht diese Unternehmensintransparenz nun aus? Sie ist das natürliche Resultat von fehlender Deckungsgleichheit. Unsere physischen und digitalen Wirklichkeiten klaffen weit auseinander. Ein Beispiel aus der Wirtschaft Bemühen wir etwa die Suchfunktion auf dem Webportal der Österreichischen Wirtschaftskammer und tippen Dinge ein, die real existieren – Präsidentenbüro, Strategieabteilung, Kantine, Parkgarage oder Rezeption – so gibt es keinerlei Anlass, sich über die gelieferten Suchergebnisse zu freuen; sie sind schlicht unbrauchbar! Oder wir möchten einfach wissen, wer der oder die Vizepräsidenten sind? Viel Glück! Und genau das ist mit fehlender Deckungsgleichheit gemeint. Wir haben nicht wirklich gelernt, unsere Unternehmen realitäts- und praxisnah umzusetzen, ergo zu virtualisieren.

Warum wir versagen. Weshalb dies generell nicht funktioniert, ist schnell erklärt. Organisationstechnisch gesehen können wir primär die Schuld dem Medium Papier geben. Wir arbeiten seit einigen tausend Jahren ohne Vernetzung und ausschließlich analog. Die bisherigen Medien gestatteten uns aufgrund ihrer physischen Begrenztheit nichts anderes, als monohierarchisch zu organisieren. Der dabei gewachsene und vorwiegend eindimensionale Blick unserer Informationsmanager und -managerinnen ist eine Altlast dieser mehrtausendjährigen Tradition. Künftig verstärkt gefragt sind deshalb eine mehrperspektivische Sicht sowie die Optimierung unserer Fähigkeit, vernetzt zu denken.

Folge, Lohn und Mehrwert: Die monohierarchische Organisation in Form klassischer Indizes unternimmt einen Entwicklungsschritt zum assoziativen Netz, in dem weniger die Dokumente zählen, sondern sich das Hauptaugenmerk auf jene Dinge richtet, die real existieren und uns unmittelbar betreffen.


Praxisnah ergonomisch. Ab einer gewissen Größe verfügt jedes Unternehmen über ein Organigramm, das Aufschluss darüber gibt, wie das Unternehmen aufgestellt ist. Bezeichnenderweise liegt dieses meist in reduzierter Form als »dummes« Dokument vor. Es ist gut druckbar, aber nicht klickbar und vernetzt. Künftig werden interaktive Varianten, die aufschlussreicher und praxisrelevanter gestaltet sind, die Grundlage der gesamten digitalen Infrastruktur eines Unternehmens bilden. Selbstverständlich benötigt man dafür einen Darstellungsstandard, den wir glücklicherweise nicht erst mühsam in Streitgesprächen ausfechten müssen, weil er einfach schon sehr lange existiert: die hierarchische Organisation – im Physischen wie auch im Digitalen.



Die hier vorgestellte Lösung (siehe Grafik) reicht weit über traditionelle Vorstellungen von Organigramminhalten hinaus und verändert zudem unser Bild von der Rolle und der praktischen Nutzbarkeit von Organigrammen. Neu ist dabei, dass über Themen, Kernkompetenzen, Standorte oder Koordinaten hinaus Personen, Abteilungen oder Projektgruppen assoziativ integriert werden. In ein solches interaktives Organigramm lassen sich nahtlos Synonymwörterbücher, Hilfen, Tutorials, externe Kooperationen, Partnerlinks und Internetfavoriten einbinden. Weil wir es hier mit einem assoziativen Netz
zu tun haben und nicht mit einem herkömmlichen Dokument, evolviert solch ein Organigramm zur digitalen Metainfrastruktur, einem »Unified Information Space«.



Prinzipiell geht es in der aktuell bestehenden faktischen Aufgeriebenheit zwischen digitaler und physischer Wirklichkeit um eine Rückbesinnung auf real Vorhandenes. Das interaktive Organigramm ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Auf diese Weise steigern wir Produktivität und Komfort, während wir gleichzeitig die Grundlage dafür schaffen, effektiv an einer überaus delikaten Schraube zu drehen: der Reduktion unserer Suchkosten.

von RON STOCKINGER
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